Donnerstag, 23. März 2017

Weg in die Freiheit (1952) Alfred Weidenmann


Auf Hahnöversand
Inhalt: In „Weg in die Freiheit“ wird ein reformpädagogisches Konzept für jugendliche Straftäter dokumentiert, das diesen die Eingliederung nach der Haftzeit erleichtern soll. Auf der Elbinsel Hahnöversand - in der Nähe der Großstadt Hamburg gelegen, aber ein in sich abgeschlossener, überschaubarer Raum – entstanden schon in den 20er Jahren die geeigneten Gebäude für die in drei Stufen vorgenommene Erziehungsmethodik: der Zellentrakt, ein Wohngebäude mit Aufsicht und eine unbewachte Wohnanlage. Mit korrektem Verhalten und konstruktiver Mitarbeit können sich die jungen Männer die Erleichterung ihrer Haft von der Gefängniszelle bis zum Freigänger auf der Insel verdienen… 


Von "Junge Adler" (1944) bis "Weg in die Freiheit" (1952) 

Auf Grund seiner Rolle in der Hitlerjugend, die in dem Propagandafilm "Junge Adler" gipfelte, erhielt Regisseur Alfred Weidenmann - wie sein Drehbuchautor und Compagnon Herbert Reinecker - nach dem Ende des Nationalsozialismus keine Aufträge. Mit "Weg in die Freiheit" und drei weiteren Kurzfilmen stiegen sie 1952 wieder ins Filmgeschäft ein. Vordergründig scheinen beide Werke wenig miteinander zu tun zu haben. Hier der abendfüllende Unterhaltungsfilm, der im Krieg letzte Reserven mobilisieren sollte, dort ein dokumentarischer Kurzfilm über Resozialisierung im Strafvollzug. Tatsächlich drängt sich der Vergleich auf. In beiden Filmen stehen männliche Jugendliche im Mittelpunkt und ihre Position in der Gesellschaft - jeweils von großer politischer Anerkennung begleitet. "Junge Adler" lief zum 10jährigen Jubiläum der Filmabteilung der Hitlerjugend vor hohen NSDAP-Funktionären, "Weg in die Freiheit" wurde 1953 als "Kulturfilm" mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet. 

Am 24.03.2017 gab es die seltene Gelegenheit "Weg in die Freiheit" als Vorfilm von "Die große Versuchung" (1952) im Berliner Zeughaus Kino zu sehen. Als Teil der Reihe "Zu den Verhältnissen", die noch mit drei weiteren Schwerpunkten über das deutsche Nachkriegskino bis Ende 2017 fortgesetzt wird - sehr empfehlenswert. 


Zuchthaus
In Reih' und Glied marschieren die Männer in Richtung Baracke, aber es handelt sich nicht um eine Militäreinheit, sondern um Strafgefangene auf dem Weg zum Haupttrakt des Gefängnisses. Ihre Gesichter sind ernst, ihr Blick nach unten gerichtet. Es sind Bilder aus der noch jungen BRD im Jahr 1952 und sie ähneln den Aufnahmen, die Regisseur Alfred Weidenmann wenige Jahre zuvor in "Junge Adler" (1944) auf die Leinwand brachte. Junge Männer, die in militärischer Formation zu ihrer Arbeit als Lehrlinge eines Flugzeugwerks schritten - nur das ihre Gesichter Freude und Begeisterung ausdrückten. Entstanden war "Junge Adler" zum 10jährigen Jubiläum des Filmschaffens der Propagandaabteilung der Hitler-Jugend, in der Weidenmann und sein Drehbuch-Autor Herbert Reinecker führende Positionen eingenommen hatten. "Weg in die Freiheit" wurde auf Veranlassung des "Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht" (FWU) produziert, das sich 1950 neu gegründet hatte. Mit der Zielsetzung „…die freie Volksbildung und die Jugendpflege zu fördern und damit der Allgemeinbildung zu dienen.“

Jugendstrafanstalt Hahnöversand
In den acht Jahren zwischen beiden Filmen hatte Weidenmann nur wenig gedreht. Der noch in der Phase des Nationalsozialismus begonnene "Die Schenke zur ewigen Liebe" wurde nicht mehr fertiggestellt. Nach Kriegsende geriet der Regisseur in russische Gefangenschaft und erhielt nach seiner Rückkehr auf Grund seiner NSDAP-Vergangenheit keine neuen Regie-Aufträge. Erst die FWU, für die er parallel drei weitere "Kulturfilme" schuf, ermöglichte ihm und seinem Compagnon Herbert Reinecker, dem es nach dem Krieg ähnlich ergangen war, wieder ins Filmgeschäft einzusteigen. Ende 1953 kam ihr nach "Junge Adler" erster gemeinsamer Langfilm „Ich und du“ in die deutschen Kinos – erneut mit Hardy Krüger in der Hauptrolle – und im folgenden Jahr „Canaris“ (1954) über den langjährigen Chef der „deutschen Abwehr“, der im März 1945 als Vaterlands-Verräter hingerichtet worden war. Einer der ersten westdeutschen Filme, die sich unmittelbar mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigten.

Stufe 1: der Zellentrakt
„Weg in die Freiheit“ dokumentierte dagegen ein aktuelles Thema. Für die Auseinandersetzung mit der Resozialisierung von straffällig gewordenen Jugendlichen erhielt er 1953 das „Filmband in Silber“ für einen „Film, der das soziale Problem besonders eindrucksvoll behandelt“. Herbert Reinecker wurde mit dem gleichen Preis für sein Drehbuch ausgezeichnet, das den Weg der Wiedereingliederung in die Gesellschaft am Beispiel der Jugendvollzugsanstalt Hahnöversand, die auf einer Elbinsel unweit von Hamburg gelegen ist, nachzeichnete. Auf Grund der abgeschlossenen Lage ließ sich an diesem Ort ein pädagogischer Dreistufenplan umsetzen. Den jugendlichen Straftätern wird ausgehend von der traditionellen Verwahrung in einer Zelle ermöglicht, ihre Haftbedingungen durch Engagement und Einordnung zu verbessern. Über eine betreute Wohnanlage mit einem Aufseher, der jederzeit ein offenes Ohr für die jungen Männer hat, führt der Weg - begleitet von Schule und Berufsausbildung - zum Freigang auf der Insel und einer selbstverwalteten Unterkunft ohne Aufsicht.

Stufe 2: Betreuer im kontrollierten Wohnbereich
Der den Film aus dem Off begleitende Kommentator betonte, dass er diese Form der Resozialisierung nicht für „übliche Kriminelle“ geeignet hielt, sondern nur für Jugendliche, die ein wenig vom Pfad der Tugend abgekommen waren. Beispielhaft wurden junge Männer ins Bild gesetzt, deren Verfehlungen auf die Versuchungen der sich in der Nachkriegszeit schnell wandelnden Gesellschaft zurückgeführt wurde. Sie haben noch eine Chance verdient, für die sie hart arbeiten und sich unterordnen müssen. Ihre ernsten Gesichter sind von Demut und Zurückhaltung geprägt, Fehlverhalten wird mit der Zurücknahme von Privilegien bestraft. Die Inszenierung, die Weidenmann wählte, hätte aus "Junge Adler" stammen können. Gruppen junger Männer bei der Ausbildung in der Werkstatt, beim gemeinsamen Einsatz auf dem Feld oder bei sportlicher Betätigung. Wiederholt wechselt die Kamera in eine Totale, die den Einzelnen angesichts einer beeindruckenden Natur unwichtig erscheinen lässt. Nicht das Individuum zählt, sondern die Eingliederung in die Gemeinschaft.

Sieben Jahre waren seit dem Ende des Nationalsozialismus vergangen, die Diktatur war der Demokratie gewichen, aber an der Haltung der Gesellschaft gegenüber Kriminellen hatte sich wenig geändert. Reineckers Schilderung einer reformpädagogischen Idee, deren Anfänge auf die 20er Jahre während der Weimarer Republik zurückgingen, ist die Notwendigkeit zur Relativierung auf Grund des vorherrschenden Misstrauens anzumerken. Die Nationalsozialisten hatten das Experiment auf Hahnöversand nach ihrer Machtergreifung zugunsten traditioneller Methoden beendet. Einzig Drill und Strenge galten als probate Mittel. Die jungen Kriminellen, denen sich Weidenmann und Reinecker hier widmeten, hätten in "Junge Adler" keine Chance auf eine Teilnahme gehabt – dort galt die Begeisterung und Eingliederung in die Gruppe als ideologische Voraussetzung.

"Weg in die Freiheit"
Von Ideologie war hier nicht mehr die Rede, aber das klar definierte Regeln zu erfüllen waren, stand außer Frage. Grundlegend geändert hat sich daran bis heute nichts, aber die große Ernsthaftigkeit, mit der die Voraussetzungen für eine zweite Chance in „Weg in die Freiheit“ dokumentiert wurde, vermittelte den spröden Charme eines von Arbeit bestimmten Lebens. Trotzdem war Reineckers gedanklicher Ansatz für die Entstehungszeit progressiv, ist der Unterschied zu "Junge Adler" signifikant. Der Staat und damit dessen Kontrolle blieben im Nationalsozialismus immer gegenwärtig, hier dagegen bedeutete die Freiheit, in die der jugendliche Straftäter nach seiner Zeit auf Hahnöversand entlassen wurde, ein Vertrauensbeweis in dessen eigenständiges Handeln. 

"Weg in die Freiheit" Deutschland 1952Regie: Alfred Weidenmann, Drehbuch: Herbert Reinecker, Laufzeit : 16 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Alfred Weidenmann: 

"Junge Adler" (1944) 
"Der Stern von Afrika" (1957) 
"An heiligen Wassern" (1960)

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