Sonntag, 1. März 2015

Madame und ihre Nichte (1969) Eberhard Schröder

Inhalt: Als Michelle (Ruth-Maria Kubitschek) die Nacht mit ihrem älteren Liebhaber verbringt, stirbt dieser in ihren Armen an einem Herzinfarkt. Eine unangenehme Situation für sie – nicht nur wegen der Familie Von Hellberg, die wenig begeistert von der Liaison ihres Oberhaupts war, sondern weil ihr damit die finanzielle Grundlage für ihr luxuriöses Leben fehlt. Einzig der Sohn und Erbe Peter von Hellberg (Fred Williams) bietet sich als schneller Ersatz an, aber dieser denkt gar nicht daran, sich an irgendeine Frau zu binden. Der Enddreißigerin gelingt es zwar, ihn zu verführen, aber sie überschätzt ihren Einfluss auf ihn.

Zudem ahnt sie nicht, dass es ihre Tochter Yvette (Edwige Fenech), die sie nach außen als ihre Nichte ausgibt, ebenfalls auf Peter von Hellberg abgesehen hat. Yvette, die als Fotomodell arbeitet und in der Münchner Szene zu Hause ist, begreift, dass ihr schönes Äußeres nicht ausreicht, um den Frauenheld zu überzeugen. Ebenfalls in Liebesdingen erfahren, gibt sie sich ihm gegenüber mal verführerisch, dann zurückhaltend und provoziert damit dessen Instinkte. Eine vielversprechende Strategie, mit der sie aber ihrer Mutter in die Quere kommt…


"Ich bin nie ihr Liebhaber gewesen. Ich bin es nicht jetzt und werde es auch in Zukunft nicht sein. Ich gehe nur in ihr Haus, um ihre Tochter zu sehen"

Bei Guy de Maupassant ist die Ausgangslage von vornherein klar. Madame Oktavia Obardi bestreitet ihren Lebensunterhalt als Kourtisane im Paris des 19. Jahrhunderts. Die Männer verbringen gerne ihre Zeit mit ihr, aber das eigentliche Objekt der Begierde ist ihre schöne 18jährige Tochter Yvette. An Verehrern besteht kein Mangel, doch sie zu heiraten ist riskant, denn der Ruf ihrer Mutter färbt auf sie ab. De Maupassant wäre nicht De Maupassant, hätte er diese Konstellation nicht zum Anlass genommen, die Verlogenheit der bürgerlichen Moral ironisch zu kommentieren. Erst dank eines Selbstmordversuchs gelingt es Yvette, den begehrten reichen Junggesellen Jean Servigny von ihrer Jungfräulichkeit zu überzeugen, obwohl er ihre Absichten durchschaut. In gemessenen Worten bittet er ihre Mutter herein, die vor der Tür unruhig auf den Ausgang der Szene wartet. Während sie ihre Tochter in die Arme schließt, endet die Novelle mit seinen Worten:

"Eine Frau ändert ständig ihre Meinung, nur ein Narr vertraut dem weiblichen Geschlecht."

Diese negative Aussage relativiert sich ein wenig angesichts einer Handlung, die an der Abhängigkeit der Frauen von den Männern keinen Zweifel lässt. Es ist ein gegenseitiges Geschäft – hier die Schönheit der jungen Frau, dort die materielle Sicherheit.

In Wolfgang Liebeneiners Verfilmung „Yvette“ von 1938 wurde diese kritische Intention abgeschwächt, wird die von Ruth Hellberg gespielte Protagonistin zur reinen Unschuld, die am Ende ihren geliebten Jean heiraten darf. Eberhard Schröder griff dagegen in seinem ersten Kinofilm „Madame und ihre Nichte“ wieder auf De Maupassants demaskierende Sichtweise zurück und nutzte die zunehmende sexuelle Liberalisierung für eine Transformation des Stoffes in die Gegenwart der späten 60er Jahre, unterstützt von dem erfahrenen Autoren Werner P. Zibaso, dessen erste Drehbücher schon zu Zeiten der Liebeneiner-Verfilmung entstanden waren. Kennengelernt hatten sich Zibaso und Schröder, der als Regie-Assistent unter Kurt Hoffmann begonnen hatte („Das schöne Abenteuer“ (1959)), bei den Dreharbeiten zu „Weiße Fracht für Hongkong“ (1964), ebenfalls eine Wolf C. Hartwig Produktion.

Der seltsam anmutende Filmtitel „Madame und ihre Nichte“ wird damit erklärt, dass Michelle (Ruth-Maria Kubitschek) - wie die Rolle der Oktavia hier genannt wird - auf diese Weise ihr Alter als Mutter einer erwachsenen Tochter kaschieren wollte. Eine wenig glaubhafte Begründung, zumal ihr tatsächlicher Verwandtschaftsgrad zu Yvette (Edwige Fenech) schnell offenbart wird. Ein solch verfälschendes Detail hätte kaum in eine Filmüberschrift gefunden, wäre Erwin C.Dietrichs Erotik-Film „Die Nichten der Frau Oberst“ (1968) im Jahr zuvor nicht so erfolgreich gewesen. Nicht das letzte Mal, dass die verführerische „Nichte“ zum Zug kam. Der ebenfalls 1969 erschienene „Frau Wirtin hat auch eine Tochter“ wurde flugs als „Frau Wirtin hat auch eine Nichte“ vermarktet, und Sigi Rothemunds „Der Liebesschüler“ (1974) mit Silvia Kristel in der Hauptrolle, wurde später die Ehre zuteil, als „Die Nichte der O.“ veröffentlicht zu werden.

Diese marktstrategischen Überlegungen werden zur Nebensächlichkeit angesichts der Interpretation eines klassischen Stoffs, der Ende der 60er Jahre keineswegs an Aktualität verloren hatte. Schröder bewies schon mit seinem ersten Kino-Film, dass er die tragische Figur unter den frühen Erotik-Film-Regisseuren war. Äußerlich erfüllte „Madame und ihre Nichte“ zwar die Erwartungshaltung dank der abwechslungsreichen, plüschiges 70er Jahre Feeling verbreitenden Sex- und Party-Szenen – beginnend beim Model-Foto-Shooting bis zur Haschisch-Session – aber die Handlung verkommt nie zum reinen Selbstzweck, sondern bleibt immer in der Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter verortet, die denselben Mann als Objekt auserkoren haben. Michelle war in eine Zwangslage geraten, als ihr reicher Liebhaber beim Sex verstarb, weshalb sie einen neuen Finanzier ihrer luxuriösen Ansprüche benötigt. Dafür kommt für sie nur dessen Sohn Peter von Hallstein (Fred Williams) in Frage. Ihre gesamten Verführungskünste in die Waagschale werfend, ahnt sie nicht, dass sie damit bei dem Frauenheld keine Chance haben wird.

Trotz des libertinösen Geschehens ließ Schröder keinen Zweifel an den nach wie vor vorhandenen Vorurteilen gegenüber sexuell freizügigen Frauen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hat Yvette begriffen, worauf es ankommt. Hallstein gegenüber verwandelt sie sich in ein mal verführerisches, dann wieder unnahbares Wesen - eine Paraderolle für die schöne Edwige Fenech, die so zu einer Verheißung wird, der der scheinbar so hartgesottene Frauenheld nicht auf Dauer widerstehen kann. Die Notwendigkeit von Yvettes berechnender Vorgehensweise, die gemäß der literarischen Vorlage bis zum Selbstmordversuch reicht, verwies ebenso wie die Chancenlosigkeit ihrer Mutter auf die gleiche Verlogenheit, die schon De Maupassant ins Visier genommen hatte, nur betrachtete Schröder die Frauen mit mehr Sympathie – sein letztes Bild gehörte Edwige Fenech im Brautkleid, die dem Betrachter abschließend zuzwinkert. Eine Ausnahme im Erotik-Film, der, anstatt moralische Standards aufzuweichen, vor allem männliche Fantasien befriedigen sollte.

Genutzt hat es Eberhard Schröder wenig, dessen De Maupassant-Adaption von der Kritik verrissen wurde. Ähnlich wie mit dem ebenfalls gemeinsam mit Autor Werner P. Zebaso entwickelten „Die Klosterschülerinnen“ von 1972, der in seiner äußeren Form an den Schulmädchen-Report-Filmen angelehnt war, gelang es Schröder nicht, die Vorurteile gegenüber den „billigen Sexfilmchen“ zu durchbrechen, die seinen Ruf als Filmemacher bis heute prägen. Die Abgründe, die sich hinter den Sex-Szenen verbargen und ihnen die Belanglosigkeit nahmen, wurden übersehen – vielleicht ein Grund dafür, warum sich Schröder 1974 das Leben nahm.

"Madame und ihre Nichte" Deutschland 1969, Regie: Eberhard Schröder, Drehbuch: Werner P. Zibaso, Guy de Maupassant (Novelle), Darsteller : Ruth-Maria Kubitschek, Edwige Fenech, Fred Williams, Reiner Penkert, Karl Walter DiessLaufzeit : 80 Minuten

Lief am vierten Tag des 14. Hofbauer-Kongress' vom 02. bis 06.01.2015 in Nürnberg.

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