Montag, 14. September 2015

Engelchen - oder die Jungfrau von Bamberg (1968) Marran Gosov

Inhalt: Katja (Gila von Weitershausen) will einen dreiwöchigen Urlaub bei ihrer Freundin Doris (Gudrun Vöge) in München verbringen. So die offizielle Version für ihren Freund Dieter, den sie in Bamberg am Bahnhof verabschiedet. Stattdessen sucht sie im liberalen Schwabing nach einer Wohnung, um ihr selbst gewähltes Ziel zu erreichen – den Verlust ihrer Jungfernschaft. Doch die Situation vor Ort erweist sich als schwieriger als erwartet. Freier Wohnraum ist schwer zu bekommen, weshalb sie sich auf den Vorschlag von Gustl (Dieter Augustin) einlässt, der sie in einem Lokal anspricht und ihr ein Zimmer in seiner WG anbietet.

Dort wohnt auch Tim (Ulli Koch), der wechselnde Damenbekanntschaften zu Besuch hat, die er zum immer gleichen Platten-Song beglückt. Der Womanizer erscheint geradezu ideal, um auch Katjas Wünsche zu erfüllen, weshalb sie sich ihm unverhohlen an den Hals schmeißt. Als sich ihr Zusammensein komplizierter entwickelt als erwartet, erfährt er, dass Katja noch Jungfrau ist – für ihn ein Grund, sofort das Handtuch zu schmeißen…


Katja (Gila von Weitershausen) verabschiedet sich am Bamberger Bahnhof von ihrem Freund Dieter, um drei Wochen ihre Freundin Doris (Gudrun Vöge) in München zu besuchen. Doch die 19jährige hat ganz andere Pläne. Ihr Weg führt sie nur aus einem Grund in die Großstadt - sie will keine Jungfrau mehr sein. Oder wie sie es ausdrückt:

"Ich bin fällig"

Seitdem sind knapp 50 Jahre vergangen und Staub ist gefallen auf Marran Gosovs ersten Langfilm, der wahlweise als "Schwabing-Film", "Ausdruck des Vor-68er-Lebensgefühls" oder "frühe Sex-Komödie" betrachtet wird. Am besten alles zusammen, immer verbunden mit dem Blick in eine weit entfernte Zeit. Von einer jungen Frau, die ihre Jungfernschaft loswerden will, lässt sich heute Niemand mehr provozieren, abgesehen davon, dass eine solche Situation kaum noch vorstellbar ist. Das Erstaunen aus männlicher Sicht ist entsprechend groß, warum es der hübschen Katja nicht schneller gelingt, einen Kerl ins Bett zu bekommen, der mit ihr schläft - eine Reaktion, die sich daraus erklärt, dass die enorme Diskrepanz zwischen der damaligen bundesrepublikanischen Realität und dem hier gezeigten lässigen Schwabinger Stadtteilleben inzwischen nur noch schwer vorstellbar ist.

Dass Katja aus der Provinz in die Großstadt gekommen ist, ist eine Untertreibung. Im Vergleich zu wenigen Großstadtzentren, war 1967 ganz Deutschland Provinz, waren die Unterschiede zwischen Schwabing und einer Stadt mit 70000 Einwohnern wie Bamberg weit größer als heute zwischen Berlin und einem abgelegenen Dorf. Dass das muntere Bohème-Leben von Gustl (Dieter Augustin), Tim (Ulli Koch) und dem Grafen (Hans Clarin) in der WG, in der sich auch Katja für drei Wochen einquartiert, nicht der Norm entsprach, schimmert trotz der sehr unangestrengten Inszenierung Gosovs immer durch. Wie an den fast zeitgleich in Schwabing entstandenen "Zur Sache, Schätzchen" (1968) und "Der Griller" (1968) lässt sich auch an "Engelchen - oder die Jungfrau von Bamberg" - trotz der individuellen Handschrift des jeweiligen Regisseurs - sowohl die schon vor 1968 eintretende Modernisierung der Gesellschaft ablesen, als auch die Widerstände, der diese ausgesetzt war.

Dafür bedurfte es weder konkreter Dramen, noch unliebsamer Nachbarn, die sich über laute Musik beschweren. Schon der flappsig dahin gesagte Satz von Doris angesichts eines sehr knappen Mini-Kleids, das sich Katja in München kaufte, dafür würde sie in Bamberg gelyncht werden, genügte. Das dieses Gedankengut auch in München nicht weit entfernt lag, hatte Peter Fleischmann in seinem Anfang 1967 veröffentlichten Dokumentarfilm „Herbst der Gammler“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Darin hatte er nicht nur die sich dem Arbeitsleben entziehenden jungen Männer porträtiert, die von der Gesellschaft verächtlich als „Gammler“ bezeichnet wurden, sondern auch die Repressalien, denen sie in München ausgesetzt waren, die damals als „Hauptstadt der Gammler“ galt.

Der schmale Grat zwischen konservativer Norm und beginnender Liberalisierung zeigt sich aber besonders in der Thematik des Films. Als unverheiratete Frau noch Jungfrau zu sein, war zu dieser Zeit keine Ausnahme, sondern entsprach den bürgerlichen Moralvorstellungen. Die Reaktion der Männer, vor Sex mit ihr zurückzuschrecken, nachdem sie davon erfahren hatten, lässt sich beispielhaft an der von Christoph Wackernagel gespielten Nebenrolle ablesen, der Katja gegenüber betont, er hätte noch seine gesamte Zukunft vor sich. Der erste Sex mit einer jungen Frau kam damals noch einem Heiratsversprechen gleich und damit großer Verantwortung - außer ein anderer Mann hatte die Sache zuvor schon erledigt. Das damit verbundene Vorurteil gegenüber sexuell aktiven Frauen wird in Gorovs Film nicht näher thematisiert, ist aber immer gegenwärtig, obwohl Katja trotz aller Bereitschaft wählerisch bleibt. Sie will Sex, fordert aber auch Respekt ein. 

„Engelchen oder die Jungfrau von Bamberg“ ist trotz seiner Leichtigkeit weniger eine Komödie als eine Konfrontation – sowohl im Film, als auch vor der Leinwand - mit einer Frau, die real nicht existieren durfte. Obwohl ursprünglich Sabine Sinjen für die Rolle vorgesehen war, erweist sich Gila von Weitershausen als ideale Besetzung, da sie trotz ihres scheinbar promiskuitiven Verhaltens jederzeit ihre bürgerliche Ausstrahlung behält. Nicht ohne Grund beginnt und endet der Film mit einem Blick auf den Glocken-Turm des Bamberger Doms, denn Katja ist weder Vamp, noch Klassenkämpferin, wirkt mädchenhaft, aber nicht unterwürfig. Sie will auch nicht ihre Beziehung zu ihrem Freund in Bamberg beenden und widersprach damit allen Stereotypen. Gorrov nahm der Sexualität das Anrüchige wie Provozierende und verlieh ihr einen natürlichen und selbstverständlichen Charakter – die einzigen konkreten Nacktaufnahmen gelten einem verliebten nackten Paar im Englischen Garten, dessen Duett im hochgewachsenen Gras keinen Voyeurismus bediente.

Unterstrichen von Jacques Loussiers Jazz-Musik, einem Dieter Augustin in Hochform als hyperaktivem Erfinder und Ulli Koch als Womanizer, den unerwartete Selbstzweifel befallen, schuf Gorov eine Atmosphäre unbegrenzter Freiheit, die Wunder möglich werden lässt. Schließlich erledigt der „Graf“ den Job in Katjas Sinn und erweist sich damit als einzig souveräne männliche Figur im Film.




„Vom Provinzhascherl zum Betthaserl…“

schrieb die „Abendzeitung“ im März 1968 und bewies damit, dass sie nichts verstanden hatte – nichts ist Katja weniger als ein Betthaserl. Aus diesen Worten sprachen allein die eigenen Vorurteile, die sich bis heute gehalten haben. Und die ebenso zur Klassifizierung des Films als „frühe Sex-Komödie“ führten, wie zu dem angeblichen Staub, der auf „Engelchen und die Jungfrau von Bamberg“ liegen soll. Stattdessen schuf Marran Gosovs mit seinem Film eine Utopie, die bis heute nicht eingetreten ist.

"Engelchen - oder die Jungfrau von Bamberg" Deutschland 1968, Regie: Marran Gosov, Drehbuch: Marran Gosov, Franz Geiger, Darsteller : Gila von Weitershausen, Dieter Augustin, Ulli Koch, Gudrun Vöge, Hans Clarin, Christof Wackernagel, Laufzeit : 82 Minuten

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