Sonntag, 3. November 2013

An heiligen Wassern (1960) Alfred Weidenmann

Inhalt: Roman Blatter (Hansjörg Felmy) verabschiedet sich schnell von seiner geliebten Binja (Cordula Trantow), um zu seiner Mutter und Schwester zu gehen, denn eine Glocke kündigt eine große Gefahr an, die über dem hoch in den Schweizer Alpen gelegenen Bergdorf liegt. Roman versucht seine Mutter Fränzi (Gisela von Collande) zu beruhigen, indem er die Wahrscheinlichkeit als gering erachtet, dass er oder sein Vater von dem Los erwischt werden, das sie zwingt, in der Bergwand die hölzerne Wasserleitung zu reparieren, von der das Überleben des gesamten Ortes abhängt – es gäbe genug andere Männer, die dafür in Frage kämen. Doch damit kann er sie nicht beruhigen, denn sie hat schon viele Männer sterben sehen, auf die das Los gefallen war.

Zudem ahnt Roman nicht, dass sein Vater Seppi Blatter (Karl John) wenig später im Wirtshaus des reichsten Bewohners des Ortes, Hans Waldisch (Gustav Knuth), am Tisch sitzt und verhandelt. Dieser hat ihm angeboten, seine Schulden zu entlassen und noch Geld drauf zu legen, wenn Blatter sich freiwillig für den gefährlichen Job meldet. Er lässt sich überreden und unterschreibt einen Vertrag, aber nachdem nachts die Lawinen wie erwartet die Leitung zerstört hatten, sieht sich Waldisch der Kritik der anderen Dorfbewohner ausgesetzt und auch Fränzi spricht bei ihm vor, um ihn zu bitten, den Vertrag zu zerreißen. Widerwillig setzt auch er sich in der Dorfkirche dem Losverfahren aus, aber obwohl Waldisch den Vertrag zuvor verbrannt hatte, meldet sich Seppi Blatter freiwillig. Zuerst verläuft seine Arbeit wie geplant, aber gerade als das Wasser wieder durch die intakte Leitung fließt, verliert er die Kontrolle und stürzt in den Tod. Das gesamte Dorf trauert, aber bald kehrt wieder der Alltag ein und Waldisch setzt seinen Plan fort, den Tourismus zu fördern – nur Roman will sich damit nicht zufrieden geben…


Die Heimatfilm-Welle hatte ihren Zenit längst überschritten, als Regisseur Alfred Weidenmann und Drehbuchautor Herbert Reinecker mit "An heiligen Wassern" 1960 noch spät das Genre für sich entdeckten. Diese Entscheidung war überraschend, da ihre bisherige Zusammenarbeit - Reinecker war seit dem nationalsozialistischen Propagandafilm "Die jungen Adler" (1944) an beinahe allen Filmen Weidenmanns als Autor beteiligt - keine Berührungspunkte zu dem Erfolgs-Genre aufwies. Im Gegenteil galt ihr Interesse, nachdem sie Anfang der 50er Jahre wieder in der Film-Branche tätig werden durften, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem daraus resultierenden Krieg ("Canaris" (1954) und "Der Stern von Afrika" (1957)), auch wenn ihre frühen Versuche im westdeutschen Film, die jüngste Historie aufzuarbeiten, umstritten blieben. Mit dem gesellschaftskritischen Kriminalfilm "Alibi" hatten sie sich zudem schon 1955 auf ein Gebiet gewagt, das erst in den 60er Jahren Popularität erlangen sollte.

Bei einer genaueren Analyse des Films wird deutlich, dass "An heiligen Wassern" mit dem klassischen Heimatfilm der 50er Jahre nur noch wenig gemeinsam hat. Die Story basiert auf der gleichnamigen Romanvorlage des Schweizer Heimatschriftstellers Jakob Christoph Heer, in dem dieser vor den Gefahren der beginnenden Tourismuswelle für die traditionelle Lebensweise der Bergbevölkerung warnte, gleichzeitig aber auch Chancen darin erkannte. Der 1898 herausbrachte und 1932 schon einmal verfilmte Roman, wurde von Weidenmann und Reinecker in einer Mischung aus dokumentarischem Charakter und dem Zeitgeist der Wirtschaftswunderjahre auf die Leinwand gebracht, indem sie die archaische Lebensweise der Bergbevölkerung mit einem dynamisch und optimistisch auftretenden Hansjörg Felmy in der Hauptrolle verbanden, der Ende der 50er Jahre zu einem der populärsten Mimen im deutschen Kino aufgestiegen war.

Aus dem Off erklärt zu Beginn eine Stimme, wie abhängig die hoch gelegenen Bergdörfer von dem Gletscherwasser waren, das sie über hölzerne Rinnen bis zu einem Sammelbecken im Ort führten. Gezwungenermaßen musste die Rinne entlang der Felswände, hoch über dem Tal, gebaut werden und war dem Wetter schutzlos ausgesetzt. Wurden Teile davon von einer Lawine zerstört, wurde per Los ein Mann des Dorfes dazu bestimmt, in die Felswand abzusteigen, um die Wasserversorgung wieder herzustellen – ein lebensgefährliches Unterfangen, dass einem Todesurteil gleich kam. Weidenmann widmet das erste Drittel seines Films ausführlich diesen Vorgängen, dabei nur wenige dramatische Elemente hinzufügend. Mehr als der junge Roman Blatter (Hansjörg Felmy) spielt der Ortsvorsteher und als Besitzer des Gasthauses „Zum Bären“ reichste Bürger der Stadt, Hans Waldisch (Gustav Knuth), die wichtigste Rolle in der frühen Phase des Films. Er versucht Seppi Blatter (Karl John), Romans Vater, mit dem Versprechen, ihm seine Schulden zu erlassen, dazu zu überreden, sich freiwillig für die Reparatur der Leitung zu melden, auch weil er Angst hat, dass das Los auf ihn selbst fallen könnte.

Gustav Knuth, einer der beliebtesten Nebendarsteller des deutschen Films, spielte hier entgegen seines sonstigen Rollenklischees nicht den Sympathieträger, sondern einen geschäftstüchtigen Mann, der dank seines Kapitals nicht nur den größten Einfluss im Ort hat, sondern auch vom aufkommenden Tourismus in den Alpen profitieren kann. Die Besetzung Knuths verweist darauf, dass Reinecker in der Charakterisierung dieser Rolle ein eindeutiges Gut-/Böse-Schema verhindern wollte, denn Waldisch ist kein hartherziger Despot, sondern bleibt immer auch ein Gemütsmensch, der in der Lage ist, eigene Fehler einzusehen. Als die Dorfbewohner davon erfahren, dass er Seppi Blatter kaufen wollte, gerät er in die Kritik – auch Fränzi Blatter (Gisela von Collande) bittet ihn, den von ihrem Mann unterschriebenen Vertrag zu vernichten – weshalb er widerwillig darauf eingeht. Trotzdem meldet sich Blatter beim Losverfahren freiwillig und stirbt, nachdem es ihm gelungen war, den Wasserlauf wiederherzustellen. Offensichtlich wollten Weidenmann und Reinecker die klischeehaften, meist künstlich hochstilisierten Konflikte im Heimatfilm vermeiden, weshalb selbst nachvollziehbare Auseinandersetzungen zurückhaltend inszeniert wurden.

Roman Blatter ist zwar mit der Tochter des „Bären“ - Wirts Binja (Cordula Trantow) liiert, aber auch als Roman von ihrem Vater des Gasthauses verwiesen wird, weil er sich darüber beklagte, dass die Bevölkerung nach dem Tod seines Vaters schnell wieder zur Tagesordnung überging, wird die Beziehung zwischen den Liebenden nicht in Frage gestellt. Auch der Streit zwischen dem jungen Mann und seinem möglichen zukünftigen Schwiegervater wirkt im Vergleich zur Genre-üblichen Dramatik unterschwellig – weder werden Hassgefühle geäußert, noch entsteht der Eindruck, als ständen sich auf ewig verfeindete Antipoden gegenüber. Diese pragmatische, immer den Konsens im Auge behaltende Sichtweise, zeigt sich im bemerkenswertesten Dialog des Films, als Creszens Waldisch (Margrit Rainer), die zweite Ehefrau des „Bären“-Wirts, ihre Ehe ganz unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Aufgabe, ihren Gasthof an die Erfordernisse eines wachsenden Tourismus anzupassen, unterordnet. Sie verständen sich doch gut, fügt sie gegenüber ihrem Ehemann noch hinzu, dessen verdutzte Miene fast Mitleid erregen könnte – wann wurde im Heimatfilm jemals eine funktionierende Beziehung so ehrlich charakterisiert?

Der Nachteil dieser Bemühung um Differenzierung liegt in der fehlenden Dramatik des Films. Obwohl sich „An heiligen Wassern“ zu Beginn ganz den archaischen Bedingungen der Bergwelt unterordnet – das die Handlung in der damaligen Gegenwart, Ende der 50er Jahre, spielen soll, ist ihr zuerst nicht anzumerken – entsteht nie der Eindruck einer lebensfeindlichen, kargen Umwelt, wie sie etwa Luis Trenker in „Der Berg ruft“ (1938) entwarf. Bedingt durch die ausschließlich hochdeutsch sprechenden Darsteller und deren glatte, wohl genährte Gesichter, stellt sich trotz traditioneller Kleidung, Gesänge und einer stimmigen Umgebung keine authentisch wirkende Situation ein. Selbst die Szenen am Hang können die Gefahr, in die sich die Männer begeben, nicht vermitteln – der Tod von Seppi Blatter geschieht ohne eine zuvorige dramatische Zuspitzung. Als größter Fremdkörper erweist sich jedoch Hansjörg Felmy, dessen dynamisches Auftreten wenig von einem das karge Leben im Schweizer Hochgebirge gewohnten Naturburschen, aber viel von einem fleißigen, aufstrebenden jungen Bundesrepublikaner besitzt.

Ihm gegenüber steht mit dem von Hanns Lothar gespielten Thöni Grieg, dem Neffen der neuen Frau des „Bären“-Wirts, die einzige negative Figur des Films. Mit ihm kommen Schallplatten, moderne Musik, Tanz und Flirt ins Hochgebirge, was zwar Vorteile bei der Betreuung weiblicher Touristen bringt, Griegs Anerkennung bei der örtlichen Bevölkerung aber gegen Null fahren lässt. Dieser weiß sich dann auch nicht anders zu helfen, als zuerst dilettantisch Briefe zu fälschen, um dann überhastet die Postkasse mitzunehmen. Diese klischeehafte, den unsoliden Charakter moderner Jugendlicher verkörpernde Figur wirkt wie eine Konzession an die Publikumserwartung, um zumindest noch ein wenig Spannung in eine Story zu zwingen, die letztlich nur einen Schuldigen kennt - die veraltete Technik, die dank eines die Traditionen hochhaltenden, sich den Neuerungen der Gegenwart aber nicht verschließenden jungen Mannes, der drei Jahre nach Indien geht, um das Ingenieur-Handwerk zu lernen, bald der Vergangenheit angehören wird.

Dass Weidenmann in „An heiligen Wassern“ auf Tourismuswerbung, künstliche Eifersuchtsdramen, eindimensionale Charaktere und klischeehaften Humor größtenteils verzichtete, ist dem Film positiv anzurechnen, leider fehlen ihm gleichzeitig die dramatischen Zuspitzungen, die letztlich die Attraktivität des Genres ausmachten. Zudem klingt Roman Blatter am Ende gönnerhaft, als er auf die Bemerkung eines der Arbeiter an der neuen Wasserleitung, die Menschen hier wären noch primitiv, mit den Worten „nicht primitiv, sondern einfach“ antwortet. Daraus sprach keine Heimatverbundenheit, sondern ein wohlwollender Ingenieur, der die Zukunft anpackt – die 50er Jahre waren vorbei, der Wiederaufbau hatte einen Großteil der Kriegsschäden beseitigt und die Menschen brauchten die „Heile Welt“ in den Heimatfilmen nicht mehr.

"An heiligen Wassern" Schweiz 1960, Regie: Alfred Weidenmann, Drehbuch: Herbert Reinecker, Jakob Christoph Heer (Roman), Darsteller : Hansjörg Felmy, Cordula Trantow, Gustav Knuth, Hanns Lothar, Karl John, Laufzeit : 96 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Alfred Weidenmann: 

"Junge Adler" (1944)
"Weg in die Freiheit" (1952) 
"Der Stern von Afrika" (1957)

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