Mittwoch, 10. Juli 2013

Das Beil von Wandsbek (1951) Falk Harnack

Inhalt: Albert Teetjen (Erwin Geschonneck) und seine Frau Stine (Käthe Braun) betreiben schon lange eine Metzgerei im Hamburger Stadtteil Wandsbek, aber ihre Geschäfte laufen immer schlechter, da sie mit den moderner ausgestatteten und größeren Läden nicht mehr mithalten können. Als die NSDAP an die Macht gekommen war, glaubte Teetjen, dass sich auch an seiner Situation etwas ändert, weshalb er in die Partei eintrat, aber inzwischen schwinden seine Hoffnungen. Doch seine Frau erinnert ihn an seinen Kriegskameraden aus dem Weltkrieg, Hans Peter Footh (Willy A.Kleinau), der es als SS-Standartenführer inzwischen zu großem Einfluss gebracht hat, doch ihr Mann weigert sich, ihn um Hilfe zu bitten. Erst als Stine zufällig an einen Briefumschlag mit einem Anschreiben der Amtsärztin Dr. Käthe Neumeier (Gefion Helmke) gelangt – diese hatte den Umschlag der Mutter und ihrem behinderten Sohn gegeben, die unter ärmlichen Verhältnissen im Dachstuhl wohnen, damit sie sich an Footh wenden können – kann sie ihren Mann überreden, ein Bittgesuch an den früheren Kameraden zu richten.

Footh, der es sich feudal eingerichtet hat und ein luxuriöses Leben genießt, reagiert erst uninteressiert, bis ihm einfällt, dass Teetjen Schlachtermeister ist. Die NSDAP hat in Hamburg noch ein unerledigtes Problem, dass bisher verhindert, dass Adolf Hitler in die Hansestadt kommt. Vier Kommunisten waren zum Tode verurteilt worden, weil sie angeblich schuld am Tod von 18 Menschen sind, die bei Auseinandersetzungen mit der SA in Altona 1932 starben - doch das Todesurteil konnte noch nicht vollzogen werden, weil der zuständige Henker erkrankt war. Da käme der Bittsteller Teetjen für Footh gerade richtig…


Während die Kinoproduktion in der BRD erst langsam wieder anlief, hatte sich die DEFA unter sowjetischer Führung seit 1946 etabliert. Doch während den frühen Filmen wie Staudtes "Die Mörder sind unter uns" (1946) noch der ideologische Freiraum anzumerken war, unter dem sie entstehen konnten, galten Anfang der 50er Jahre schon genaue Anforderungen und Richtlinien, die sowohl die heroische Rolle des kommunistischen Widerstands betonen, als auch einen positiven Ausblick auf die Zukunft geben sollten. "Das Beil von Wandsbek" versprach eine angemessene Umsetzung, denn das Drehbuch basierte auf dem 1943 veröffentlichten Roman von Arnold Zweig, der den Selbstmord eines nationalsozialistischen Henkers, von dem er 1938 in der "Deutschen Volkszeitung" - einer von der KPD im Exil herausgegebenen Wochenzeitung - gelesen hatte, zum Anlass seines Romans nahm.

Zweig verband dieses Ereignis mit dem "Altonaer Blutsonntag" vom 17.Juli 1932 als die SA im Hamburger Stadtteil Altona aufmarschierte - eine bewusste Provokation, da das Arbeiterviertel traditionell als linksgerichtet galt. Es kam zu den erwartet schweren Auseinandersetzungen, in dessen Folge 18 Menschen starben, davon 16 durch Kugeln der Polizei. Die Ermittlungen, die sich allein gegen die Kommunisten richteten, brachten keine Ergebnisse, bis die Justiz kurz nach der Machtergreifung der NSDAP vier junge Antifaschisten und Kommunisten zum Tode verurteilte - ein Urteil, dass erst 1992 wieder aufgehoben wurde. Inzwischen ist es erwiesen, dass der Henker, der die Hinrichtung an den vier Männern vornahm, nicht - wie Zweig damals annahm - Derselbe ist, der später Selbstmord beging, aber der Autor entwickelte daraus eine Ereignisfolge, deren Intention sich unabhängig vom historischen Hintergrund erschließt. Für die DEFA war der Zusammenhang zum "Altonaer Blutsonntag" dagegen von wesentlicher Bedeutung, denn der Widerstand der Kommunisten gegen das nationalsozialistische Regime sollte zum Auslöser für das Scheitern eines Mannes werden, der sich von den Nationalsozialisten kaufen ließ. Mit Erwin Geschonneck in der Hauptrolle des Henkers Albert Teetjen und Falk Harnack, Widerstandskämpfer und seit 1948 künstlerischer Direktor der DEFA, auf dem Regiestuhl, der gemeinsam mit Wolfgang Staudte auch am Drehbuch mitwirkte, waren die Voraussetzungen für ein Gelingen des Films ideal. Entsprechend der Richtlinien wurde Arnold Zweigs Roman um eine Nebenhandlung erweitert, die den heldenhaften Widerstand der Kommunisten im III. Reich betonen sollte. 

Der Schlachtermeister Teetjen wendet sich an seinen früheren Kriegskameraden und jetzigen SS-Standartenführer Footh (Willy A.Kleinau), um ihn wegen seiner schwierigen materiellen Lage um Hilfe zu bitten, was schließlich dazu führt, dass er gegen viel Geld die Hinrichtung von vier unschuldigen Männer ausführt, da der zuständige Henker erkrankt ist. Damit hilft er der Hamburger NSDAP aus der Klemme, da Adolf Hitler nur unter der Voraussetzung, dass die vier Männer hingerichtet worden sind, seinen Besuch in der Hansestadt ankündigte. Diesen bei Arnold Zweig solitär erzählten Vorgang verbindet der Film mit den Aktivitäten einer funktionierenden kommunistischen Widerstandszelle. In einer frühen Szene des Films besucht die Amtsärztin Dr. Käthe Neumeier (Gefion Helmke) einen behinderten jungen Mann, der mit seiner Mutter in einer ärmlichen Dachwohnung über der Fleischerei Teetjen lebt. Nicht nur, dass der selbstbewusste junge Mann keine Angst davor hat, die Bücher von Karl Marx und anderen verbotenen Autoren in seiner Bibliothek zu bewahren, auch sonst ist er aktiv antifaschistisch und stellt nachts Flugblätter her. Die Ärztin dagegen vertritt den Typus des Mitläufers. Sie war früher selbst kommunistisch, gehört inzwischen aber einer bürgerlichen Schicht an, die die Ideen der Nationalsozialisten zwar verabscheut, aber mit ihnen zusammen arbeitet, da sie den Ernst der Lage noch nicht begriffen hat. Deshalb übergibt sie der Mutter des jungen Mannes ein Empfehlungsschreiben an den einflussreichen SS-Mann Footh, um diesen um Unterstützung zu bitten - angesichts der Umstände eine absurde Idee, die aber dazu führt, dass Stine Teetjen (Käthe Braun), die Ehefrau des Schlachters, in den Besitz des Schreibens kommt, welches sie an ihren Mann weitergibt, der damit Footh anschreibt.

Diese konstruiert wirkende Eingangssequenz sollte die Mitwirkung der Kommunisten an der späteren Identifikation des Täters begründen und die daraufhin beschlossene Maßnahme, den Fleischer zu ächten, als Solidaritätsbewegung der Bevölkerung kennzeichnen. Als die Ärztin im Haus des SS-Mannes Wochen nach der Hinrichtung ihren Briefumschlag entdeckt und die Mutter des Jungen darauf anspricht, erfährt sie, dass diese den Umschlag an Frau Teetjen weiter gegeben hatte, womit klar wird, wieso sich die Teetjens plötzlich die Modernisierung ihres Fleischerladens leisten konnten. Doch bevor es dazu kommt, dient ihre Rolle dazu, nochmals den Heldenmut der Kommunisten zu betonen. Nachdem sie von einer im Sterben liegenden Kommunistin darauf hingewiesen wurde, prüft sie gemeinsam mit dem Gefängnisdirektor die Gerichtsakten und kommt zu dem Ergebnis, das das Todesurteil eine von den Machthabern gewollte Farce ist. Zudem besucht sie die vier Verurteilten in ihren Zellen und gibt damit Jedem von ihnen die Gelegenheit, seinen Standpunkt nochmals zu vertreten, Solidarität einzufordern und zum Kampf für die gerechte Sache aufzurufen, die am Ende siegen wird.

Angesichts der beißenden Darstellung der Nationalsozialisten um den ehrgeizigen und selbstverliebten SS-Standartenführer Footh wirken diese Szenen unrealistisch - kaum vorstellbar, dass sich eine Ärztin so frei und sprachlich unangepasst innerhalb eines so diffizilen Umfelds hätte bewegen können. Die wiederholten Warnungen vor den Nationalsozialisten, die bekunden sollten, dass die Kommunisten die Gefahr frühzeitig erkannten und den Widerstand nie aufgaben, wirken zunehmend bemüht und angesichts der realen Gefahr für jeden Regimegegner auch verharmlosend - der behinderte junge Mann verlässt nachts um eins den Dachstuhl seiner Wohnung, um zu einem in der Straße gelegenen Keller zu gehen, wo die Druckerpresse steht - standen aber ganz im Sinn der ideologischen Zielsetzung der DEFA. Um so mehr überrascht es, das „Das Beil von Wandsbek“ der erste DEFA-Film wurde, dessen Aufführung in der DDR verboten wurde und folgende Aussage des SED-Politbüros provozierte:

„Noch krasser offenbaren sich die Fehler des kritischen Realismus in dem Film „Das Beil von Wandsbek“, der nicht die Kämpfer der deutschen Arbeiterklasse zu den Haupthelden macht, sondern ihren Henker. Die Verfilmung dieses Stoffes war ein ernster Fehler der DEFA-Kommission und des DEFA-Vorstandes.“

Tatsächlich spielten die „Kämpfer der deutschen Arbeiterklasse“ in Zweigs Roman nur eine untergeordnete Rolle, denn er wollte am Beispiel des Fleischers die Propaganda der Nationalsozialisten, sich für die Arbeiter und einfachen Leute einzusetzen, als Lüge entlarven. An Hand des differenziert beschriebenen Charakters des Fleischers, der von den Nationalsozialisten für deren Zwecke missbraucht wird, verbunden mit den Vorgängen am „Altonaer Blutsonntag“, gelang Zweig das schlüssige Bild einer Gesellschaft im Übergang von der Weimarer Republik zur faschistischen Diktatur. Die Ächtung des Fleischers, nachdem sich das Gerücht in Wandsbek verbreitete, er hätte die Männer geköpft, drückte das innere Unbehagen einer Bevölkerung aus, die keineswegs hinter den Ideen der Nationalsozialisten stand, letztlich aber auch nicht in der Lage war, sich aufzulehnen. Der Fleischer und einmalige Henker wird zum schwächsten Glied einer sich verändernden Gesellschaft, nicht zur Zielperson einer konzertierten Aktion des Widerstands, wie es der Film positiv darzustellen versuchte.

Der Versuch misslang, weil „Das Beil von Wandsbek“ Arnold Zweigs Intention weiter transportierte und die Nebenhandlung den Charakter der nachträglichen Hinzufügung nicht verlor. Das war besonders dem überragenden Spiel Geschonnecks und Brauns zu verdanken, die das Ehepaar Teetjen menschlich nachvollziehbar verkörperten. Ihre Ängste und der damit verbundene Anpassungswille, ihre Leichtgläubigkeit und Kleingeistigkeit, seine Sturheit und das gewollt wirkende konservative Auftreten, ihre Eitelkeit und christliche Gesinnung, aber auch ihr Versuch, gemeinsam ein bisschen Glück erfahren zu wollen, entfalten ein komplexes Bild der menschlichen Psyche, von dem sich kein Betrachter lossagen kann. Zudem betonte Harnacks am Neorealismus orientierter Stil die Armut und Tristesse, und damit die Ausweglosigkeit ihrer Situation, die sich am Ende zu einem Bild zweier verlorener Menschen verdichtet, die gleichzeitig zu Tätern und Opfern werden.

Der Umgang mit der Thematik war signifikant für die Frühphase des „Kalten Krieges“. Während ein kritischer Stoff wie Arnold Zweigs Roman zu Beginn der 50er Jahre kaum eine Chance auf eine Verfilmung in der BRD hatte (erst 1982 wurde er in einem Fernsehfilm umgesetzt), galt es in der DDR die eigene Staatsdoktrin darin unterzubringen, die den kommunistischen Staat als das „bessere“ Deutschland darstellte. Dafür war Zweigs Blick auf die erste Hälfte der 30er Jahre nicht geeignet, denn der Versuch die Geschichte - wenn auch nur in wenigen Aspekten – umzuschreiben, musste misslingen, zu generell war seine Analyse eines Deutschlands auf dem Weg in die Diktatur. Regisseur Falk Harnack verließ die DDR 1952 als Reaktion auf das Filmverbot, der Film kam 1962 stark geschnitten in die DDR-Kinos – die privaten Szenen des Ehepaars wurden größtenteils entfernt – aber das alles konnte dem Film letztlich nichts anhaben, dessen grundsätzliche Aussage bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat.

"Das Beil von Wandsbek" DDR 1951Regie: Falk Harnack, Drehbuch: Falk Harnack, Wolfgang Staudte, Erich Conradi, Hans Robert Bortfeld, Arnold Zweig (Roman), Darsteller : Erwin Geschonneck, Käthe Braun, Gefion Helmke, Willy A.Kleinau, Claus Holm, Gisela May, Hilde SessakLaufzeit : 107 Minuten

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