Samstag, 20. September 2014

Alle Sünden dieser Erde (1958) Fritz Umgelter

Inhalt: Dr.Regine Lenz (Barbara Rütting) arbeitet als Assistenzärztin in einem städtischen Krankenhaus, argwöhnisch beobachtet von ihrem Chefarzt, der sich nicht an Frauen in dieser Position gewöhnen will. Auch ihr Vater (Herbert Kroll), ein pensionierter Witwer, in dessen Haus sie noch lebt, verlangt von ihr trotz ihres anstrengenden Jobs ihre hausfraulichen Pflichten zu erfüllen, während ihr jüngerer Bruder (Peter Vogel) alle Freiheiten genießt, obwohl er die Schule und Ausbildung geschmissen hatte. Dass er auf seinen mager bezahlten Job keine Lust mehr hat hat, weiß sein Vater nicht.

Die größte Freude ist es deshalb für Regine, dass ihr Verlobter sie mit seinem Auto abholt, das er sich dank seiner neuen, gut bezahlten Festanstellung als Arzt leisten kann. Endlich könnten sie heiraten, aber stattdessen gesteht er ihr, die Tochter seines Chefs ehelichen zu wollen. Das müsste sie verstehen, denn sonst hätte er den Job nicht bekommen. Es tröstet sie auch nicht, dass er ihr schwört, nur sie zu lieben. Sie will aussteigen und greift ihm dabei ins Lenkrad, was zu einem für ihn tödlichen Unfall führt. Leicht verletzt flieht sie vom Unfallort, aber ein drogensüchtiger Patient hatte sie gesehen, als sie bei ihm eingestiegen war und erpresst sie. Er braucht Morphium, das sie ihm aus dem Krankenhaus besorgen soll…


Die 50er Jahre gelten nach wie vor als letzte Bastion moralischen Anstands, bevor die 60er mit ihrer "sexuellen Revolution" die Wende zur heutigen freizügigen Gesellschaft einläuteten. Die Klischees von klaren Geschlechterrollen und intakten Familienverhältnissen verdanken ihre Langlebigkeit auch dem Kino, dessen immenser Output an Heimatfilmen, musikalischen und sonstigen Komödien dieses Bild bis heute prägen. Dabei lässt die Beschwörung dieser vermeintlichen Idylle auch die Notwendigkeit erkennen, einer Realität nachhelfen zu müssen, die diesem Ideal nicht entsprach - letztlich auch der Anlass für die in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts aufkommenden moralisch motivierten Dramen ("Die Halbstarken", 1956), die mit unverhohlen formulierten Warnungen eine Entwicklung aufhalten wollten, die schon unmittelbar nach dem Krieg einsetzte.

Auch Produzent Wolf C.Hartwig wird heute vor allem als Initiator des semi-dokumentarischen Sex-Films der frühen 70er Jahre angesehen, der mit dem "Schulmädchen-Report" (1970) eine Popularitäts-Welle lostrat, ohne das es noch bekannt ist, dass die Wurzeln seiner Erotik-Filme schon in den 50er Jahren zu finden sind. Nach seinem frühen Dokumentarfilm "Bis fünf nach zwölf - Adolf Hitler und das 3. Reich" (1953) dauerte es noch vier Jahre, bis er mit "Liebe, wie die Frau sie wünscht" (1957) seinen ersten Spielfilm produzierte, der eine Reihe ähnlich gelagerter Filme nach sich zog, die als "Schmuddel-Filme" betrachtet wurden, weil sie der propagierten Außendarstellung der Gesellschaft widersprachen. Sein zweiter Spielfilm "Alle Sünden dieser Erde" kann in dieser Hinsicht als prototypisch gelten, da Hartwig darin in dichter Folge Aspekte behandelte - Drogenmissbrauch, Abtreibung, Frauenknast, Promiskuität, Sex und Prostitution - die selten mit den 50er Jahren assoziiert werden.

Die gesamte Story um Unfallflucht und verratene Liebe bettete er in eine kaputte Familienkonstellation mit rückständigem Vater (Herbert Kroll), fleißiger, aber nicht anerkannter Tochter (Barbara Rütting) und einem Hallodri als Sohn, dem der junge Peter Vogel so ziemlich alle negativen Charaktereigenschaften verlieh, die faulen und verwöhnten Jugendlichen nachgesagt wurden. Besonders schön perfide die Szene, in der Willi (Peter Vogel) seinen alten, kränklichen Vater erneut bestiehlt und als Alibi einen Einbruch vortäuscht, ohne zu bemerken, dass dieser auf Grund der Geräusche gerade einem Herzinfarkt erlegen ist. Die ganze Mühe hätte er sich sparen können. Auch hinsichtlich der Nacktdarstellungen ließ sich Wolf C.Hartwig nicht lumpen, weshalb es nicht erstaunt, dass "Alle Sünden dieser Erde" wenig Reputation erfuhr, obwohl der Produzent bewährtes Personal an Bord hatte.

Drehbuchautor Johannes Kai hatte bei seiner intensiven Zusammenarbeit mit Regisseur Hans H.König schon bewiesen, dass auch das Heimatfilm-Genre über einen erotischen Subtext verfügen kann ("Heiße Ernte", 1956) und blieb noch über Jahre hinweg Hartwigs Begleiter ("Der schwarze Panther von Ratana", 1963). Der viel beschäftige Fernseh-Regisseur Fritz Umgelter unterbrach kurz seine TV-Karriere und mit Albert Lieven, Paul Dahlke und Ivan Desny gehörten weitere renommierte Darsteller zum Ensemble. Auch Wolfgang Büttner glänzte erstmals in einer Hartwig-Produktion als Moralapostel - eine damals noch unumgängliche Figur, um einen solchen Film in die Kinos bringen zu können. Hier gab er einen toleranten Priester, der auch für die tief gefallenen Schäfchen noch ein offenes Ohr und natürlich einen guten Ratschlag parat hat. In "Die Wahrheit über Rosemarie" (1959) spielte er später einen Psychologen, der über die Prostitution als "heilbare Krankheit" sinniert.

Trotz dieser erst ganz am Ende auftretenden relativierenden Figur - nur Ivan Desny bewahrt in seiner Rolle als engagierter Anwalt noch den Glauben an das Gute im Menschen - hielt sich der Film mit dem erhobenen Zeigefinger wohltuend zurück. Zu verdanken ist das dem Spiel Barbara Rüttings, die ohne zu lamentieren ihren Weg von der studierten Ärztin zur Prostituierten geht. Dr. Regine Lenz hatte ihrem Verlobten bei einem gemeinsamen Ausflug mit dessen neuen Auto ins Lenkrad gegriffen, nachdem dieser ihr offenbart hatte, die Tochter seines Chefs zu heiraten. Natürlich nur aus Karriere-Gründen, Sex wollte er weiter mit ihr haben. Damit verursachte sie einen für ihn tödlich ausgehenden Unfall, flieht aber vom Unfallort, ohne sich der Polizei zu stellen. Ein drogenabhängiger Patient, der zufällig gesehen hatte, dass sie in dessen Auto eingestiegen war, erpresst sie, ihm Medikamente auszuhändigen – und bringt damit ihren Niedergang ins Rollen.

Die herbe Schönheit Rütting - zuvor schon Hauptdarstellerin in "Liebe, wie die Frau sie wünscht" – entsprach nicht dem braven, unschuldig wirkenden Typus, was sie für diese Rolle prädestinierte, deren Schicksal sie mit einer solch stoischen Gelassenheit ertrug, dass sie trotz ihrer menschlichen Verfehlungen inmitten ihrer selbstsüchtigen Zeitgenossen zur Identifikationsfigur wird. Paul Dahlke als schmieriger Unternehmer, ihre frühere Kommilitonin Hannelore (Marion Blanc-Evert), die gemeinsam mit ihrem Mann eine geheime Abtreibungs-Klinik trotz ihres abgebrochenen Medizin-Studiums führt, und eine Vielzahl weiterer selbstzufriedener Zeitgenossen geben hier Parade-Beispiele rücksichtsloser Kapitalisten in der „Wirtschaftswunder-BRD“ ab, die das Abrutschen Regines in die Kriminalität als lässliche Sünde ansehen lassen.

„Alle Sünden dieser Erde“ entfaltete um seine sympathische Protagonistin das wunderbar polemische Kaleidoskop einer egoistischen Sozialisation. Leider blieb dem Film die Anerkennung als Gesellschaftskritik wegen seines so unterhaltenden, wie kalkulierten Charakters versagt, zeigte aber schon früh Wolf C. Hartwigs Gespür für tabuisierte Realitäten.








"Alle Sünden dieser Erde" Deutschland 1958, Regie: Fritz Umgelter, Drehbuch: Johannes Kai, Darsteller : Barbara Rütting, Peter Vogel, Ivan Desny, Paul Dahlke, Albert Lieven, Wolfgang Büttner, Laufzeit : 96 Minuten

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