Donnerstag, 22. Januar 2015

Das Meer ruft (1933) Hans Hinrich

Inhalt: Terje Wiggen (Heinrich George) arbeitet als Lotse in einem kleinen Hafen, der zur baltischen Insel Moon gehört. Obwohl er glücklich mit Antje (Erika Helmke) verheiratet ist, träumt er davon, erneut die Meere zu bereisen, denn das Leben an Land langweilt ihn. Als er erfährt, dass der Steuermann auf einem Handelsschiff ausgefallen ist, heuert er dort spontan für ein Jahr an. Selbst als ihm seine Frau mitteilt, dass sie schwanger ist, hält ihn das nicht davon ab, an Bord zu gehen.

Schnell verschafft er sich Respekt als erfahrener Seemann, der auch in Notlagen immer weiß, was zu tun ist. Doch die anhaltende Flaute, die den Zweimaster von den Handelslinien abtreibt, bringt auch ihn in Schwierigkeiten. Zwar zerstört er die verfaulten Wasservorräte, kann aber nicht verhindern, dass der Kapitän (Hans Mierendorff) an Pest erkrankt. Da sich die restliche Crew weigert, mit anzufassen, sorgt er allein für dessen Seebegräbnis. Aus Angst, ebenfalls an der Pest zu sterben, verlassen die Seeleute heimlich das Schiff mit dem Rettungsboot und lassen Terje allein zurück. Als plötzlich ein Sturm aufkommt, gerät er in Seenot…


Die Geschichte des Seemanns Terje Wiggen (Heinrich George) basiert auf der Ballade „Terje Vigen“ von Henrik Ibsen, die 1809 während der napoleonischen Kriege spielt, als englische Schiffe die norwegische Küste blockierten und damit jeden Nachschub an Nahrung unterbanden. Terje Vigen versucht mit einem Ruderboot die Blockade zu durchbrechen, um seine Frau und die kleine Tochter zu versorgen, wird aber auf dem Rückweg von einem englischen Schiff aufgebracht und von dessen Kapitän nach England in Kriegsgefangenschaft geschickt. Erst fünf Jahre später kehrt er zurück und erfährt, dass Frau und Kind verhungert sind. Als erneut Jahre später ein Schiff vor der Küste in Seenot gerät, geht Vigen als Lotse an Bord und trifft dort den Kapitän wieder, der ihn damals gnadenlos daran hinderte, Nahrung für seine Familie zu besorgen. Bebend vor Zorn will Vigen Rache nehmen und den englischen Lord und die Seinen ihrem Schicksal überlassen, aber er besinnt sich eines Anderen, rettet sie und findet seinen inneren Frieden.

Das Drehbuch zu „Das Meer ruft“ versetzte die Handlung auf die baltische Insel Moon zum Zeitpunkt des Beginns des 1.Weltkriegs 1914. Terje Wiggen gehört zum deutschsprachigen Teil der russischen Bevölkerung und muss mit ansehen, dass die deutsche Marine den Seeweg blockiert und damit seine Frau Antje (Erika Helmke) und seine neu geborene Tochter vom Hungertod bedroht werden. Während Wiggens vergeblicher Rettungsversuch und die Folgen daraus zum zentralen Bestandteil der Ballade Ibsens gehören, nimmt dieser Handlungsverlauf im Film erst die zweite Hälfte ein. „Das Meer ruft“ beginnt mit einem Terje Wiggen, der sich als Lotse an Land langweilt und gegen den Willen seiner Frau die erste Gelegenheit ergreift, als Steuermann auf einem Handelsschiff für ein Jahr anzuheuern. Die Szene, in der er ihr zuerst verspricht, doch bei ihr an Land zu bleiben, nachdem er von ihrer Schwangerschaft erfuhr, um im nächsten Moment in See zu stechen, lässt expressiv deutlich werden, welche Sucht das Meer auf Terje ausübt.

Bei Ibsen kommt diese Szene nicht vor, ebenso wenig die kommenden dramatischen Ereignisse um den Zwei-Master, der in eine Flaute gerät. Zudem legte George die Figur seinem Typus entsprechend ernst und schwer an, während Ibsen dem Charakter auch eine gewisse Leichtigkeit verlieh:

„Ich sah ihn einmal einen Morgengang;
er lag im Hafen mit Fisch;
Sein Haar war weiß, doch lacht‘ er und sang
und war wie ein Jüngling frisch“

Im Hinblick auf den Zwiespalt zwischen der Verantwortung für seine Lieben und der Sehnsucht nach dem Meer kam der Film der literarischen Vorlage dagegen sehr nah:













„Das Festland unter sich hielt er kaum aus.
Nein, da war doch besser zu bauen sein Haus
auf der großen, wogenden See!

Ein Jahr darauf hatte Terje gefreit; –
Das kam, eh’s einer gedacht.
Und manche meinten, es sei ihm leid,
dass er sich sesshaft gemacht.
So lebte er denn unter eigenem Dach
einen Winter in Saus und Braus.
Hell blitzten die Scheiben vorm saubern Gemach
mit weißen Gardinen und Blumen im Fach
in dem kleinen, weinroten Haus.

Als Eis und Winter vorm Tauwind wich
versuchte er wieder sein Glück“

Erst als Terje Wiggen seine Tochter nach seiner erneuten Rückkehr erblickt, beginnt er in Ibsens Ballade, sich endlich auf das Familienleben einzulassen. So einfach machte es „Das Meer ruft“ seinem Protagonisten nicht, denn der Film schickte Terje Wiggen erst durch die Hölle, bevor er geläutert zu seiner Frau und der inzwischen geborenen Tochter zurückkehrt. Die sehr spannend erzählte und großartig fotografierte erst Hälfte des Films verfolgte aber noch ein weiteres Ziel. Sie betonte Terjens Stärke und Zuverlässigkeit, der im Gegensatz zur restlichen Crew keinen Moment daran denkt, das Schiff und die Ladung im Stich zu lassen, auch nicht, nachdem der Kapitän an der Pest gestorben war, weil er verfaultes Wasser getrunken hatte. Eine Schwäche, die sich Terje Wiggen nicht zugestanden hätte. Im Gegenteil zerstört er sämtliche Wasservorräte und bringt damit die restliche Besatzung weiter gegen sich auf.

Diese Heldenhaftigkeit nimmt seiner Entscheidung, seine schwangere Frau alleine zurückzulassen, im Auge des Betrachters zwar die Härte, verlieh ihr aber auch etwas Fanatisches. Es erstaunt entsprechend wenig, dass er sofort zur Tat greift, als die Schiffs-Blockade das Leben seiner Familie bedroht. Mehrere Tage rudert er über das Meer, um Nahrung vom Festland zu holen. Auch in Ibsens Ballade greift der Protagonist zu dieser Lösung, aber Terje wagte diesen Schritt nur gemeinsam mit seinem liebsten Verbündeten, dem Meer:


„Wie? War ihm ein Freund denn nicht, alt und treu,
sein großes, wogendes Meer ?“

Heinrich George verkörperte dagegen einen Mann, der stur und ohne Andere daran zu beteiligen, seine Ziele verfolgt. Wie brüchig und trotz der Rettungstat auch egoistisch seine Vorgehensweise war, lassen die Konsequenzen erkennen, die im Film anders als in Ibsens Ballade ausfallen. Dort erfährt Terje, nachdem er aus fünfjähriger Gefangenschaft zurückkam, dass Frau und Tochter verhungert sind, im Film stirbt die Ehefrau dagegen nur zwei Monate vor seiner Rückkehr, ohne dass die Todesursache genauer benannt wird, während die Tochter als Adoptivkind bei einer Freundin aufwächst und ihren Vater nicht mehr erkennt. Der Unterschied ist eklatant, denn in der literarischen Vorlage wird Terjes verzweifelter Rettungsversuch im Nachhinein legitimiert, während der Protagonist im Film seine Frau erneut im Stich ließ.

Er hätte ihr mehr helfen können, wenn er bei ihr geblieben wäre. Auf Grund der tragischen Umstände erwächst dem Protagonisten daraus kein Vorwurf, aber der Film lässt die Ambivalenz hinter seinem äußerlichen Verhalten zu und zeigt die wahre Heldenhaftigkeit im Verzeihen. Entsprechend sind Georges abschließende, unnachahmlich nebenbei gesprochene Worte zu verstehen, die er gegenüber dem Kapitän äußert, nachdem er auf seine Rache verzichtet hatte:



„…und nun seh‘ auch ich klar!“

Besser lässt sich der Bruch mit seinen inneren Dämonen nicht ausdrücken und weiter weg von der auf Hass und Vergeltung aufbauenden Ideologie der NS-Zeit konnte die Verfilmung der Ibsen-Ballade nicht sein.

"Das Meer ruft" Deutschland 1933, Regie: Hans Hinrich, Drehbuch: Josef Pelz von Felinau, Helmut Brandis, Hans Klaehr, Henrik Ibsen (Ballade), Darsteller : Heinrich George, Erika Helmke, Hans Mierendorff, Ludwik Andersen, Albert FlorathLaufzeit : 80 Minuten 

1 Kommentar:

  1. Danke für die Filmvorstellung, ein seltener Film, leider nur im Ausland zubekommen.

    Das Lied dazu: http://erinnerungsort.de/als-wir-von-carravals-kamen--28der-brave-peter-29-_382.html

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